Die Rhone, oder die schrittweise Zähmung eines Flusses

Die Geschichte der Rhone ist eng mit der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung des Wallis verbunden. Die ersten zwei Rhonekorrektionen haben es ermöglicht, den Fluss zu kanalisieren, die Talebene zu sichern sowie das Land für den Ackerbau zu schützen und flächenmässig auszudehnen. Die Städte sind näher an die Rhone gerückt, Fabriken und Industrieanlagen sind gegründet worden und der Ackerbau hat sich weiterentwickelt.

Trotz den beiden Korrektionen sind Rhonehochwasser immer noch eine Bedrohung für die Anwohner, die Wohnhäuser und Infrastrukturen, die in ihrer unmittelbaren Umgebung errichtet wurden. Deshalb ist es wesentlich, die Entwicklung der Ebene so gut wie möglich mit den Launen des Flusses zu vereinbaren. Das ist die Mission der 3. Rhonekorrektion, welche auch die Aspekte Natur, Freizeit und Erholung in sich vereint.

Die 1. Rhonekorrektion (1863-1894): Eindämmung

Die Überschwemmungen im Jahr 1860 waren der Auslöser für die erste Rhonekorrektion. Zum ersten Mal beansprucht der Kanton Wallis eine Finanzhilfe vom Bund für eine Bauausführung. Es wurden parallele Erd- oder Kiesdämme errichtet. Auch die Ufer wurden durch quer zum Flusslauf liegende Buhnen verstärkt, die dazu dienen, die Strömung in der Flussachse zu halten.

Die 1. Rhonekorrektion stellte eine gewisse Sicherheit in der Ebene her und gestattete deren Sanierung. Sie führte jedoch nicht zu den erwarteten Ergebnissen: Es stellte sich heraus, dass die korrigierte Rhone nicht in der Lage war, die Millionen Kubikmeter Kies, die ihr von ihren Nebenflüssen zugeführt wurden, bis zum See zu transportieren, und das Flussbett wurde, trotz der Ausbaggerungen, immer höher. Die Lage wurde alarmierend.

Die 2. Rhonekorrektion (1936-1961): Verstärkung der Dämme

Die erste Korrektion reichte nicht aus, um die Hochwassergefahr zu beseitigen, so kam es 1897 und 1935 zu weiteren Überschwemmungen.

Mit der 2. Rhonekorrektion ab 1936 sollte die Geschiebetransportkapazität des Flusses erhöht werden. Dazu wurde das Flussbett verengt, die Dämme verstärkt und erhöht. Das Problem des Geschiebetransports wurde aber erst ab den 1960er Jahren mit dem Betrieb der ersten Kieswerke am Fluss, welche das überschüssige Material aus den Zuflüssen abbauten, behoben.

Die Hochwasser der Rhone

Die Überschwemmung von 2000

Mitte Oktober 2000 war die Situation der Rhone überall kritisch.

Trotz der vorherigen Korrektionen war der Fluss nicht in der Lage, ein derartiges Hochwasser abzuführen. In Branson stieg der Durchfluss auf 980 m3/s. Normalerweise liegt der mittlere Abfluss im Oktober bei 100 m3/s.

Die Rhonedämme sind hoch und überragen die Ebene im Durchschnitt um mehr als vier Meter. Im Falle eines Dammbruchs strömt das Wasser heftig und weitläufig aus, ohne zum Fluss zurückzufliessen. Genau dies trat leider am Sonntag, dem 15. Oktober, ein. In Chamoson brach ein Damm, überlastete das Kanalsystem, was den Bruch eines Kanaldamms zur Folge hatte. Zuerst wurde Chamoson überschwemmt, dann Leytron und durch einen Domino-Effekt auch die Region von Saillon.

Es kam zu keinen weiteren Dammbrüchen, aber wegen des Hochwassers mussten die Gemeinden ihre Bevölkerung evakuieren. In Fully verbrachten 350 Personen die Nacht auswärts, in Martigny, wo die unterirdischen Parkgaragen unter Wasser standen, wurden die Stadtviertel La Bâtiaz und Les Follatères evakuiert, während weiter flussabwärts, in Collonges, Vernayaz und Evionnaz, die Wildbäche über die Ufer traten. Auf diesem Abschnitt der Rhone war es das grösste Hochwasser des Jahrhunderts.

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Die Überschwemmung von 1948

Vor dem Oktober 2000 war das grösste Rhone-Hochwasser das vom 4.September 1948.

Anhaltende Regenfälle hatten alle linksufrigen Nebenflüsse der Rhone anschwellen lassen. Enorme Wassermassen hatten die Eisenbrücken von Noës und Aproz weggerissen und unterhalb der Brücke Vers l’Eglise in Fully zwei Breschen geschlagen.

Die grössere war 160 m lang. Die gesamte Ebene zwischen Charrat und Martigny wurde unter Wasser gesetzt. Die Kantonsstrasse stand unter Wasser. Der Bahnverkehr konnte auf einem der beiden Gleise, das 30 Zentimeter tief unter Wasser stand, aufrechterhalten werden. Der Damm musste an fünf Stellen durchbohrt werden, damit das Wasser wieder in das Flussbett der Rhone zurücklaufen konnte.

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Die Überschwemmung von 1935

Der Winter 1934 zog sich bis Ende Mai hin, und in den Höhenlagen hatten sich aussergewöhnlich grosse Schneemengen angesammelt. Dann sorgten anhaltend warme Temperaturen im Juni für ein schnelles Abschmelzen des Schnees.

In der Nacht vom 29. Auf den 30. Juni 1935 tat sich im Rhonedamm bei Conthey eine Bresche auf. Mit einer Länge von 200 m, direkt unterhalb der Einmündung der Morge, verursachte sie eine Überschwemmung der ganzen Talebene von der Morge-Mündung bis zur Brücke bei Riddes. Bei Chamoson tat sich eine weitere Bresche auf, durch welche allerdings ein Teil der Wasserfluten wieder ins Flussbett zurückkehren konnten. Während 47 Tagen stand der Grossteil der Ebene von Conthey bis Chamoson unter Wasser. Nach dem Rückzug des Wassers bot die Ebene ein Bild der Verwüstung.

In Anbetracht der Dringlichkeit der Situation, und um zu vermeiden, dass die Ebene während der Hochwasserperiode überschwemmt blieb, setzten die Arbeiter ab dem 5. Juli 1935 Stahlspundwände von durchschnittlich 8.30 Meter Höhe ein, mit denen sie die Bresche von Conthey wieder schlossen. Am 17. August waren sie mit ihrer Arbeit fertig. Sie hatten Tag und Nacht gearbeitet und eine 211 Meter lange Stahlwand errichtet. Für jeden Tag Verzögerung war eine Verzugsbusse von 1000 Franken festgelegt worden.

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Die wichtigsten Etappen und Entscheide betreffend die R3

1987: Überschwemmung

 

1987: Erste Untersuchungen der ETHZ nach der Überschwemmung 1987. Fazit: Mit Unterhaltsmassnahmen kann die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden, es braucht ein Wasserbauprojekt.

1992: 1. Generelles Projekt für die Rhone. Für Siders wird z. B. vorgeschlagen, eine Kombination aus Aufweitung des Flussbetts, Erhöhung der Dämme, Ausgrabung und Verstärkung der Dämme durch Stahlwände zu realisieren.

 

1993: Überschwemmung

 

1993: Ein erneutes Hochwasser stellt die bisher errechneten Abflussmengen in Frage (2 grosse Hochwasser innert 7 Jahren). Die Expertise der ETHL definiert 1996 die für die Rhone zu berücksichtigenden Abflussmengen. Diese liegen über den bisher angenommenen Mengen und führen dazu, nach neuen, sichereren, widerstandsfähigeren und dauerhafteren Lösungen zu suchen; die Möglichkeit einer Verbreiterung des Flusses wird in Betracht gezogen.

1996-1999: Entwicklung eines generellen Projekts (für 10 Mio. Franken Projektierungskosten) zwischen Brig und Martigny. Diese Projekt beinhaltet alle möglichen Varianten (6 in Betracht kommende Profiltypen für den Rhoneausbau) und definiert bereits die beiden Arten von Massnahmen: solche, die innerhalb der heute vom Fluss beanspruchten Fläche und mit ökologischen Ausgleichsmassnahmen ausserhalb umzusetzbar sind, und solche, die den Flächenbedarf erhöhen.

 

2000: Überschwemmung

 

September 2000: Der Synthesebericht zu den Studien von 1996-1999 wird dem Grossen Rat vorgelegt. Dieser heisst die dreifache Zielsetzung für die 3. Rhonekorrektion gut: Verbesserung der sicherheitstechnischen, ökologischen und sozioökonomischen Aspekte des Flusses. Ebenso bestätigt er die grundlegenden Prinzipien des Projekts. Ausserdem beschliesst der Grosse Rat, die 3. Rhonekorrektion auszudehnen, von ihrer Quelle bis zu ihrer Einmündung in den Genfersee.

Oktober 2000: Beim grössten Hochwasser des Jahrhunderts bestätigen sich die von der ETHL vorhergesagten Abflussmengen – und damit die Richtigkeit des Beschlusses des Grossen Rates. Dabei zeigt sich die Notwendigkeit eines Ausbaus der Rhone zum dauerhaften Schutz der Ebene.

2005: Der Kanton erlässt eine Gefahrenhinweiskarte. Ein Grossteil der Ebene wird bei einem Rhonehowasser von grossen Überschwemmungshöhen (über 2 m) bedroht. Die grössten Siedlungs- und Industriegebiete sind betroffen. Das Schadenpotenzial liegt bei über 10 Milliarden Franken.

2005-2008: Entwicklung des Generellen Projekts für die Rhone (GP-R3) auf der Grundlage der Erfahrungen mit grossen Hochwassern in der Schweiz und der Geschichte der Rhonekorrektion. Aufnahme neuer Erkenntnisse zum Grundwasser und zum Kiestransport (Geschiebe).

2008: öffentlichen Vernehmlassung des GP-R3; zwei wesentliche Anmerkungen: der Bedarf an Landwirtschaftsflächen ist zu verringern und die Ausführungsfristen für die Sicherungsmassnahmen zu verkürzen.

2009: Expertise zur Variante Sohlenabsenkung, welche vom ADSA (Verein für den Erhalt der landwirtschaftlichen Böden) als Alternative zum GP-R3 präsentiert wird. Die Experten (Prof. Minor, ehem. Professor für Hydraulik an der ETHZ und Prof. Zwahlen, Leiter des Hydrogeologischen Zentrums an der Universität Neuenburg) kommen zum Schluss, dass die Variante Sohlenabsenkung theoretisch die Hochwasserabführung gewährleisten würde, dass sie aber wegen ihrer Auswirkung auf das Grundwasser nicht durchführbar ist. Ein Projekt dieser Art könnte nicht bewilligt werden. Sie empfehlen dem Staatsrat die Umsetzung der Variante des GP-R3.

2010: Die Bauarbeiten in Visp beginnen. Das Schadenpotenzial von 3 Milliarden Franken macht eine Sicherung dieses Abschnitts erforderlich.

2011: Expertise, auf Antrag des Grossen Rates, der von den Gemeinden präsentierten Variante, die dreimal schneller umzusetzen, dreimal weniger kosten und keine Beeinträchtigung der Landwirtschaft haben soll. Die vom Staatsrat beauftragen Experten für Recht, Hochwasserschutz und Grundwasser (Zimmerli, Speerli und Höhn) kommen zum Schluss, dass diese Lösungen die Sicherheit nicht gewährleisten, dass sie potentielle Gefahren bergen, dass sie weder den Regeln der Kunst noch den gesetzlichen Grundlagen entsprechen.

März 2012: Ergebnisse der Expertisen zu den Alternativvarianten: sie gewährleisten keine dauerhafte Sicherheit und genügen weder den Regeln der Kunst noch den Anforderungen des Gesetzes.

2008-2012: Nachbesserung des Projekts von 2008, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden, um den Flächenbedarf zu verringern und die Bautermine zu beschleunigen.

November 2012: Validierung des Generellen Projekts für die Rhone (GP-R3) durch die Walliser Regierung. Festlegung der Ausbauvariante, deren Flächenbedarf und Ausführungsfristen. Gegenüber der Version von 2008 bringt das neue GP-R3 drei wesentliche Verbesserungen:

  • eine Verringerung des Bedarfs an Landwirtschaftsflächen (-70 ha);
  • eine Beschleunigung der Ausführungsfristen;
  • eine verbesserte Rücksichtnahme auf andere Projekte durch Synergienutzung, z. B. mit der Stromerzeugung (Optimierung der bestehenden Stauwehre, wie Lavey, neue Stauwehre in Oberwald, Riddes und Massongex).

2013: Baustopp bei den Sicherungsarbeiten in Visp aus Geldmangel.

April 2014: Erlass der Verordnung über die Einrichtung von Gewässerräumen grosser Fliessgewässer, in welcher sich die Grundsätze für die Bestimmung des Flächenbedarfs der Rhone im GP-R3 bestätigen.

11. September 2014: Beschluss des Grossen Rates zur Gewährung eines Finanzierungsfonds für die R3, in Ergänzung zum ordentlichen Budget und zur Sicherung der prioritären Abschnitte in den nächsten 10 Jahren.

Juni 2015: Das Walliser Stimmvolk  befürwortet (mit 57 % Ja-Stimmen) die Schaffung eines Finanzierungsfonds für die 3. Rhonekorrektion, nachdem der Grosse Rat bereits 2014 seine Zustimmung dazu gegeben hatte. Die Bauarbeiten, die aus Geldmangel eingestellt werden mussten, können wieder aufgenommen werden.

2016: Das Generelle Projekt (GP-R3) wird von der Walliser und der Waadtländer Regierung verabschiedet.

2017: Das Kantonale Amt Rhonewasserbau (KAR3) nimmt seine Tätigkeit auf; der Staatsrat wünscht sich eine Struktur, die der Aufgabe, Bauarbeiten in dieser Grössenordnung zu Ende zu führen, gewachsen ist.

2018: Das Gesetz über die Finanzierung der 3. Rhonekorrektion (GFinR3) wird vom Walliser Parlament gutgeheissen. Das Gesetz regelt die Beiträge der verschiedenen beteiligten Parteien.

2019: Nach dem Nationalrat im September 2019 hat sich im Dezember 2019 auch der Ständerat für die Gewährung eines Kredits von insgesamt 1,022 Milliarden Franken ausgesprochen. Dieser Betrag ist zur Finanzierung der 2. Etappe der 3. Rhonekorrektion bestimmt.

2021: Das Kantonale Amt Rhonewasserbau (KAR3) wird in der Dienststelle Hochwasserschutz Rhone (DHWR) umgewandelt. Von nun an wird es ihre Aufgabe sein, den vollständigen Schutz von Menschen und Immobilien vor Überschwemmungen des Flusses sicherzustellen und dies nicht nur mit der Realisierung der 3.RK, sondern auch durch präventive Massnahmen (Unterhalt, Gefahrenzonen, Vormeinungen, Materialentnahme,...) und Notfallplanung (Notfallplan Rhone).

2022: Die Dienststelle Hochwasserschutz Rhone wird zur Sektion Rhone und Genfersee innerhalb der neuen Dienststelle für Naturgefahren.

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