Antoine Jacquod, Adjunkt und stellvertretender Chef der Dienststelle für zivile Sicherheit und Militär sowie der Stabschef des kantonalen Führungsorgans

Antoine Jacquod

Die Lehren aus dem Oktober 2000 für die Bewältigung von Krisensituationen

Der ehemalige Kommandant des Luftwaffenstützpunktes Sitten, Antoine Jacquod, ist heute Adjunkt und stellvertretender Chef der Dienststelle für zivile Sicherheit und Militär sowie der Stabschef des kantonalen Führungsorgans. Als solcher erläutert er uns die kantonale Organisation, die nach den Unwetterereignissen vom Oktober 2000 zur Bewältigung von Krisensituationen eingerichtet wurde.

Herr Jacquod, was hat sich nach dem Oktober 2000 geändert?
Der Kanton hat das Gesetz über den Bevölkerungsschutz und die Bewältigung von besonderen und ausserordentlichen Lagen (GBBAL), einschliesslich einer Verordnung (VBBAL), ausgearbeitet und verabschiedet. Mit Inkrafttreten des Gesetzes 2013 konnte ein Kantonales Führungsorgan, das KFO, geschaffen werden, und die Katastrophenstäbe der Gemeinde, die KSG, sowie die Regionalen Führungsstäbe, die RFS, wurden obligatorisch.

Über welche Kompetenzen verfügt das KFO?
Das KFO ist direkt dem Staatsrat unterstellt und wird vom Chef der Dienststelle für zivile Sicherheit und Militär geführt. Das KFO besteht aus verschiedenen «Fachzellen»: Nachrichtendienst, Polizei, Gesundheitswesen, Rettung und Unterstützung, technische Dienste, Logistik und Versorgung, Naturgefahren und ABC (atomare, biologische und chemische Bedrohungen). Es umfasst auch Fachzellen für Finanzen, Administration, Recht und Öffentlichkeitsinformation

Welche Vorteile hat diese Organisation für die Gemeinden?
Sie verfügen über Führungsstäbe, die alle eine Grundausbildung erhalten haben, Weiterbildungen besuchen und regelmässig obligatorische Übungen unter der Leitung des Kantonalen Amtes für Bevölkerungsschutz durchführen. Somit verfügen die Gemeinden also über ausgebildetes und trainiertes Personal, was vor dem Oktober 2000 allgemein nicht der Fall war.

Im Jahr 2000 lief die Nachrichtenübermittlung nicht optimal. Welche Verbesserungen wurden hier getroffen?
Jeder kommunale oder regionale Führungsstab verfügt jetzt über einen Nachrichtendienst, der die Daten zusammenträgt und ans KFO weiterleitet. Somit erhält dieses einen Gesamtüberblick über die Lage im Kanton. Das ermöglicht ihr ein schnelles Eingreifen, wirkungsvoll und gezielt, da wo es nötig ist. Ausserdem verfügt auch jeder Führungsstab über eine Stelle für Öffentlichkeitsinformation, damit auch die Information der Bevölkerung schnell erfolgen kann.

Wie funktioniert das konkret in einem Katastrophenfall?
Die Kantonspolizei ist zuständig für die Notrufe, die Warnung und Alarmierung, und sie ergreift die ersten Notfallmassnahmen. Je nach Ernst der Lage kann das KFO aktiviert werden, wie das der Fall war bei den Unwettern vom Januar 2018 oder bei der Covid-19-Pandemie diesen Frühling. Das KFO ordnet die geeigneten Massnahmen an. Es stellt namentlich die Koordination der Operationen sicher und setzt die verfügbaren Mittel dafür ein, einschliesslich privater Mittel und subsidiärer Mittel von Bund und anderen Kantonen.

Ohne Zivilschutz wäre es 2000 nicht gegangen. Seither ist er kantonalisiert worden. Was verändert das?
Die Kantonalisierung des Zivilschutzes 2012 führte zur Schaffung von 6 Regionen und 24 Einsatzgebieten. Ausserdem wurde das Kommando professionalisiert. Der grosse Vorteil liegt in der Schnelligkeit, mit welcher die Bereitschaftsdienste mobilisiert werden können, sei es in einer betroffenen Region, oder zur Sicherung einer anderen, wobei die ersten 24 Stunden immer die wichtigsten sind.

Nicolas de Morsier

Nicolas de Morsier ist der für die Rhone zuständige Ingenieur bei der Sektion Naturgefahren des Kantons

 

 

Nicolas de Morsier

Seit 2013 steht die Rhone durch «MINERVE» unter Dauerüberwachung

Nicolas de Morsier ist der für die Rhone zuständige Ingenieur bei der Sektion Naturgefahren des Kantons, ein 2018 geschaffener Posten. Im Jahr 2000 war er ein junger Ingenieur in der Privatwirtschaft, der die Rhonedämme bei Fully nach dem Hochwasser untersuchte. Heute überwacht er den Fluss vor allem von seinem Computer aus, hauptsächlich mittels des Systems «MINERVE». Er erklärt uns, wie eine Hochwassersituation heutzutage gemanagt würde.

«Nach dem verheerenden Hochwasser vom Oktober 2000 arbeitete der Kanton Wallis ein Gesamtschutzkonzept gegen Rhonehochwasser aus», sagt Nicolas de Morsier. Nach mehreren Jahren der Forschung unter Leitung der ETHL im Rahmen des MINERVE-Projekts (Modellierung Extremer Unwetter der Walliser Rhone und deren Auswirkungen), wird das in Sitten ansässige Zentrum für alpine Umweltforschung (CREALP) mit der Entwicklung und der Einrichtung eines kantonalen Vorhersagesystems für Rhonehochwasser betraut.

Das MINERVE-System ist seit 2013 in Betrieb und ist ein wesentlicher Bestandteil des Verfahrens zur Bewältigung von Rhone-Hochwassern. «Das System berechnet und macht mehrere Vorhersagen zu den Abflussmengen, und das an 365 Tagen im Jahr», präzisiert Nicolas de Morsier. Dazu stützt sich MINERVE auf die Wettervorhersagen von MeteoSchweiz, auf die Niederschlagshistorik, den Zustand der Schneedecke, die Schneefallgrenze, und berücksichtigt auch die Rhone-Abflussmengen, die an den automatischen Messstationen an der Porte du Scex, in Branson, Sitten, Brig, Reckingen und Gletsch gemessen werden.

«Wenn also zum jetzigen Zeitpunkt MINERVE eine problematische Situation feststellen würde, würde die Sektion Naturgefahren noch im selben Moment gewarnt. Je nach Ernst der Lage würde die wissenschaftliche Krisenzelle (KRIZ) mobilisiert. Dabei handelt es sich um die wissenschaftliche Zelle des Kantonalen Führungsorgans (KFO)», erklärt Nicolas de Morsier. Je nach Gefahrenstufe beschliesst das KFO, eine Vorwarnung, eine Warnung oder einen Alarm auszulösen.

Die Vorwarnung gibt den kommunalen und regionalen Führungsstäben die Zeit, sich vorzubereiten und vor allem «Wachposten» direkt an den Ufern des Flusses aufzustellen, um ihn zu beobachten. Diese Wachposten sind mit einem vom Kanton erarbeiteten Kontrollblatt ausgerüstet, das ihnen die sensiblen Stellen genau angibt. Jeder Wachposten erstattet seinem Führungsstab Bericht, der die Daten, sofern erheblich, dann an das KFO weiterleitet. Ausserdem gehört jedem kommunalen oder regionalen Führungsstab ein Beobachter an, der von der Sektion Naturgefahren ausgebildet werden wird. Zudem haben 2019 alle Gemeinden einen vom Kanton ausgearbeiteten Notfallplan erhalten.

Im Falle eines Alarms werden mit Hilfe des MINERVE-Systems Interventionsstrategien in der präventiven Steuerung von Wasserkraftanlagen geprüft und bedarfsweise zur Verhinderung oder Eindämmung von Überschwemmungen im Einzugsgebiet der Rhone eingesetzt.

«Aber wie dem auch sei, selbst wenn Wetterlagen, die ein Hochwasser ankündigen, erkannt werden können, bleibt deren Einschätzung schwierig, vor allem, wenn sie aus Süden kommen. Ganz verhindern werden wir Hochwasser nie können, das liegt an der Topografie unseres Kantons und an der Ungewissheit der meteorologischen Vorhersagen», schliesst Nicolas de Morsier.