Jean-René Fournier: «Das Hochwasser von 2000 hat die absolute Notwendigkeit der 3. Rhonekorretion unter Beweis gestellt»

Im Oktober 2000 ist Jean-René Fournier Präsident der Walliser Regierung und Vorsteher des Departements für Justiz und Polizei. In dieser Position gerät er innert Stunden in eine kantonal zu bewältigende Krisensituation. Zwanzig Jahre später durchlebt er die schmerzhaften Ereignisse noch einmal und erklärt, welche Lehren man daraus gezogen hat.

Am 14. Oktober 2000 ist Jean-René Fournier an einem Anlass in Savièse, als er vom Kommandanten der Kantonspolizei Mitteilung erhält, dass sich in Gondo ein Drama ereignet. Darauf springt er in einen Helikopter und kann sich bald selber ein Bild vom Ausmass des Dramas machen. «Ein infernalisches Spektakel», erinnert er sich bewegt. Nach einer Nacht, in der die alarmierenden Informationen der Kantonspolizei in regelmässigen Abständen eintreffen, erwacht das Wallis am Sonntagmorgen unter den drohenden Fluten der Rhone.

Schnell war dem Sicherheitsminister klar, was für eine Gefahr und was für Risiken ein solches Rhonehochwasser bedeuteten. Er sollte sich nicht irren. Im Verlauf des Tages tritt der Fluss an mehreren Stellen über die Ufer, in Chamoson bricht der Damm. Insgesamt werden rund 5000 Personen evakuiert.

Für mehrere Tage richtet sich alle Aufmerksamkeit auf die Rhone. «Trotz des Ausmasses der Schäden stösst der Staatsrat einen Seufzer der Erleichterung aus, angesichts der Zahl der Wohnhäuser, die verschont geblieben sind», erzählt Jean-René Fournier. Das damalige Regierungskollegium begreift schnell einmal, dass die Folgen dieses Jahrhunderthochwassers ohne die Sicherungsmassnahmen von 1987 und 1993 noch viel schlimmer gewesen wären.

Nachdem sich die Situation wieder beruhigt hat, werden Lehren aus ihr gezogen. Deren erste erscheint ziemlich offensichtlich: «Dieses Rhonehochwasser hat die absolute Notwendigkeit des Baus der 3. Rhonekorretion unter Beweis gestellt. Will man dem Ereignis überhaupt etwas Positives abgewinnen, dann, dass dies der gesamten Bevölkerung bewusst geworden ist», hält Jean-René Fournier fest, worauf er betont, dass auch 20 Jahre später die Sicherung eine Priorität der Regierung bleibt. «Man vergisst schnell, aber die Gefahr ist durchaus noch da.»

Eine weitere Lehre, die aus dieser Katastrophe gezogen wurde, betrifft das Naturgefahrenmanagement. Nach der Katastrophe wurden die diesbezüglichen Gesetze geändert, die Gefahrenzonen revidiert, die Reglemente und Richtlinien, welche die Führungsstäbe, die Kommunikationsmodalitäten und die Nachrichtenqualität regeln, überarbeitet.

«Denken wir daran, dass wir in einem besonderen Kanton leben», schliesst Jean-René Fournier, « was bedeutet, dass für die Prävention, die Sicherheit und das Krisenmanagement die adäquaten Mittel eingesetzt werden müssen.»

Benjamin Roduit: «Wir dachten, die Welt steht still»

«Was damals in Saillon geschah, wird in den Leben aller betroffenen Personen ein einmaliges Ereignis bleiben. Wir dachten, die Welt steht still, wir konnten nicht einfach nicht fassen, was da passierte.» Mit diesen Worten beginnt der Nationalrat Benjamin Roduit, im Oktober 2000 Gemeindepräsident von Saillon, seine Erzählung.

An jenem Tag erreicht der Fluss bei Branson gegen Mittag eine Abflussmenge von 980 m3/s. Pro Minute entspricht das dem Volumen eines Fussballplatzes, der 8 Meter tief unter Wasser steht. Mit solchen Mengen hatte man bei der 2. Rhonekorrektion nicht gerechnet. So tritt die Rhone an mehreren Stellen über die Ufer, und bei Chamoson gibt ein Damm nach, was einen Dominoeffekt auslöst. Die Rhonedämme sind nämlich hoch und überragen die Ebene im Durchschnitt um mehr als vier Meter. Bei einem Dammbruch kommt das Wasser mit Wucht, es kommt weit und lässt sich nur von einem Hindernis auf gleicher Höhe aufhalten. Der Dammbruch bei Chamoson überflutete das Wasser daher Chamoson, dann Leytron, und erreichte schliesslich Saillon.

In Saillon ist die Gemeindefeuerwehr an diesem 15. Oktober seit 9.00 Uhr in Alarmbereitschaft. «Um 9.30 Uhr werden die Einsatzkräfte verstärkt, weil die Alarmstufe rot erreicht wird», erinnert sich Benjamin Roduit. Etwa zwanzig Feuerwehrleute werden für die Überwachung der Dämme eingesetzt. Um 10.00 Uhr wird eine lokale Katastrophenzelle (KAZE) auf die Beine gestellt.

Ohne Informationen über die Situation weiter flussaufwärts zu haben, wird der Pikettdienst gegen 19.00 Uhr wieder heruntergefahren. «Ich schaute um 19.30 Uhr die Nachrichten, als ich einen Anruf von der Feuerwehr erhielt, die Lage sei kritisch. Die Bevölkerung müsse evakuiert werden. Die ganze Nacht gingen wir von Haus zu Haus, von Quartier zu Quartier, je nach Anstieg des Wasserstandes», erzählt der frühere Gemeindepräsident von Saillon, der sich auch noch gut an die vorbildliche Solidarität erinnert, die damals herrschte.

Die Ereignisse haben bei Benjamin Roduit bis heute Spuren hinterlassen. «Auch heute noch, 20 Jahre später, werde ich bei starkem Regen unruhig. Der Gedanke, so etwas noch einmal erleben zu müssen, ist der Horror!» Ein Gefühl, das er mit seinen KollegInnen im Nationalrat teilte, als dieser im Herbst 2019 über die Vergabe eines weiteren Rahmenkredits für die Finanzierung des 2. Teils der Arbeiten an der 3. Rhonekorrektion zu beraten hatte.

Er beendet seine Erzählung mit einer kurzen, lehrreichen Anekdote. Zwei Tage nach der Überschwemmung der Rhone blickten Benjamin Roduit und sein Stabschef vom Ortsteil Vers le Scex aus auf die unter Wasser stehende Talebene. «Da trat der Dorfälteste hinzu», erinnert sich der frühere Gemeindepräsident. «Ich sagte zu ihm, sowas hast du wohl auch noch nie gesehen.» «Machst du Witze?», gab er zur Antwort, «Vor der 2. Rhonekorrektion war das jedes Jahr so, aber man vergisst halt schnell.»

 

Saillon unter Wasser

Gegen 13 Uhr gibt der Damm bei Bieudron (Chamonson) den Wassermassen nach, diese überfluten die Talebene am rechten Ufer. Die Bresche vergrössert sich und erreicht eine Länge von etwa hundert Metern. Hinter ihren mehreren Metern hohen Dämmen fliesst die Rhone über dem Niveau des Talgrunds, und die Überschwemmung breitet sich infolge Rückstaus in flussaufwärtiger Richtung aus. In Saillon führt die Überlastung des Kanalsystems zu einem Bruch des Kanaldamms, die Region steht unter Wasser.

Die Schäden von Saillon in ein paar Zahlen:

  • 140 Hektaren Grundstückflächen überschwemmt
  • 149 Wohnhäuser, 2 Restaurants, 17 weitere Gebäude beschädigt
  • 116 Haushalte evakuiert
  • 2/3 der betroffenen Wohnungen standen über einen Meter unter Wasser