Medienkonferenzen

Aufsicht des Kantons im Baubereich Expertenbericht von Professor Nuspliger

06/04/2017 | Präsidium

Professor Kurt Nuspliger, ehemaliger Staatskanzler des Kantons Bern, hat der Regierung seinen Expertenbericht betreffend die Aufsicht des Kantons über die Gemeinden im Baubereich unterbreitet. Er weist darauf hin, dass im Fall Verbier die Hauptverantwortung für die begangenen Fehler bei der Gemeinde Bagnes liegt. Mitverantwortung trägt aber auch der Kanton mit der Genehmigung einer fehlerhaften Bestimmung des Gemeindereglements im Jahre 2002. Er hat zwar der Gemeinde im Jahr 2012 eine klare Anweisung betreffend die Nichtübereinstimmung ihres Reglements zukommen lassen, hätte aber deren Umsetzung kontrollieren sollen. Infolge der Veröffentlichung im Jahre 2016 des von der Gemeinde in Auftrag gegebenen Gutachtens über die illegalen Bauten in Verbier hat der Staatsrat hingegen die angemessenen Massnahmen getroffen. Der Expertenbericht schlägt drei Handlungsoptionen vor. Die Regierung spricht sich für eine Optimierung des bestehenden Systems aus. Sie hat die für dieses Dossier zuständige Arbeitsgruppe beauftragt, diese Option, welche der vom Gesetzgeber gewollten Gemeindeautonomie am besten Rechnung trägt, eingehend zu prüfen.

Professor Kurt Nuspliger, ehemaliger Staatskanzler des Kantons Bern, wurde vom Staatsrat beauftragt, die Rolle des Kantons im Zusammenhang mit dem Dossier der illegalen Bauten in Verbier zu analysieren. Er liefert einen detaillierten Bericht über die Aufsicht und die Oberaufsicht des Kantons über die Gemeinden im Baubereich im weiteren Sinne, mit einem besonderen Fokus auf den Fall der Gemeinde Bagnes.

Bedeutung des allgemeinen Grundsatzes der Gemeindeautonomie

Gemäss den Schlussfolgerungen des Expertenberichts impliziert die in der Kantonsverfassung und im Gemeindegesetz verankerte Gemeindeautonomie, dass die Gemeinden für ihr Handeln verantwortlich sind. Sie müssen das übergeordnete Recht, also die kantonalen und eidgenössischen Rechtsgrundlagen, einhalten und im Rahmen einer Selbstkontrolle dafür sorgen, dass diese Bestimmungen angewendet werden.

Die Aufsicht des Kantons muss ihrerseits mit einer gewissen Zurückhaltung erfolgen. Der Staatsrat als Oberaufsichtsbehörde greift erst dann ein, wenn die Baupolizeibehörden ihre Pflichten vernachlässigen und wenn dadurch öffentliche Interessen gefährdet sind.

Fall der Gemeinde Bagnes

Im Dossier Verbier liegt dem Experten zufolge die Hauptverantwortung für die begangenen Fehler bei der Gemeinde Bagnes. Mit der Genehmigung eines Gemeindereglements mit einer fehlerhaften Bestimmung im Jahre 2002, trägt der Kanton eine Mitverantwortung, die als «eine Fehleinschätzung und nicht als eine bewusste Missachtung der Aufsichtspflicht» qualifiziert wird.

Der Expertenbericht weist allerdings auf eine Intensivierung der Aufsicht seitens des Kantons ab 2012 hin, welcher die Gemeinde Bagnes im Juli 2012 klar auf die Nichtübereinstimmung ihres Reglements und den Vorrang des übergeordneten Rechts hingewiesen hat. In der diesbezüglichen Anweisung machte der Kanton deutlich, dass die Herstellung der Konformität des Gemeinderechts mit dem übergeordneten Recht nur mittels Änderung des Gemeindereglements möglich sei. Eine Anpassung der kantonalen Gesetzesgrundlagen wäre für die Gemeinde eine weitere Lösung gewesen. Gleichzeitig hat der Kanton eine Totalrevision des Baugesetzes und der Bauverordnung in die Wege geleitet. Nach Meinung des Experten wäre es aus heutiger Sicht angezeigt gewesen, dass der Kanton die Umsetzung der Anweisung – insbesondere nach der ersten Medienberichterstattung über das Dossier im Augst 2015 – kontrolliert hätte. Laut Professor Nuspliger hat der Staatsrat im April 2016 nach Veröffentlichung des von der Gemeinde Bagnes in Auftrag gegebenen Expertenberichts «klare und richtige Massnahmen» getroffen.

Empfehlungen des Experten und Entscheide des Staatsrates

Für den Experten gibt es drei mögliche Handlungsoptionen für Reformen. Die erste besteht darin, die Baubewilligungskompetenzen, die gegenwärtig von den Gemeinden ausgeübt werden, dem Kanton zu übertragen. Diese Option wird nicht zur Umsetzung vorgeschlagen, da sie die mit dem neuen Baugesetz vorgenommene politische Weichenstellung des Parlaments nicht respektieren würde.

Professor Nuspliger sieht als zweite Möglichkeit eine intensive und flächendeckende Kontrolle des Handelns der Gemeinden im Baubewilligungsverfahren durch den Kanton. Ein solches Vorgehen stünde allerdings im Widerspruch zum Kerngehalt der Gemeindeautonomie.

Aus diesem Grund wird die dritte Option, die eine Optimierung des bestehenden Systems vorsieht, vorgezogen. Der Experte empfiehlt dem Kanton insbesondere folgende Massnahmen: Schaffung einer Gesetzesgrundlage, um ihm die Durchführung amtlicher Untersuchungen bei den Gemeinden zu ermöglichen, Ausarbeitung eines Aufsichtskonzepts gegenüber den Gemeinden mit standardisierten und transparenten Verfahren oder auch Prüfung der Möglichkeit zur Schaffung einer Ombudsstelle. Diese Massnahmen würden zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen erfordern.

Die Gemeinden sollten sich ihrerseits so organisieren, dass sie rechtmässig handeln, Fehlentwicklungen erkennen und korrigieren können. Die interkommunale Zusammenarbeit und die Anstellung von qualifiziertem Personal auf Gemeindeebene sind daher zu fördern.

Der Staatsrat bevorzugt diese dritte Option, welche der vom Gesetzgeber gewollten Gemeindeautonomie am besten Rechnung trägt. Er hat die mit diesem Dossier betraute Arbeitsgruppe beauftragt, diese Option eingehend zu prüfen und ihm Vorschläge zu unterbreiten.

 

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