Zu Besuch in Ayer

Zu Besuch in Ayer
mit Adrienne Melly

Oberhalb der Navisence, mit Blick auf einige der imposantesten Walliser Viertausender, liegt das malerische Dörfchen Ayer. Adrienne Melly, die im benachbarten Val d’Hérens aufgewachsen ist, verschlug es durch einen Studentenjob hierher: «Ich bin durch Zufall hier gelandet und habe mich sofort in das Dorf und die Landschaft verliebt». Mittlerweile nennt die Psychologin und Berufsberaterin des Berufsinformationszentrums Siders und der Orientierungsschule des Val d'Anniviers Ayer ihr Zuhause, wo sie mit ihrer Familie lebt. In Adrienne hat Ayer seine Botschafterin schlechthin gefunden, die uns auf unserer Entdeckungstour zu den Schätzen der Region begleitet: das Chalet Madeleine, den Gletscherwein, den Lehrpfad Zau Zoura und das Fronleichnamsfest.

 

Eine besondere Adresse: Das Chalet Madeleine

Das Chalet Madeleine ist ein altes Häuschen mitten im Herzen von Ayer. Teils aus Stein, teils aus Holz, fügt es sich idyllisch ins Ortsbild ein und ist mehr als einen Besuch wert. Hier öffnet sich die Tür zu einer eindrucksvollen Reise in die Vergangenheit, denn das 1579 erbaute Haus konnte bis heute in seinem Originalzustand erhalten bleiben. Gerade mal aus zwei Räumen besteht das Gebäude: eine Küche und ein Schlafzimmer, verbunden durch den obligaten Specksteinofen. Sogar Mobiliar und Einrichtungsgegenstände stammen grösstenteils noch aus der damaligen Zeit.

« Es ist ein echter Zeitzeuge im Massstab 1:1 der Häuser von damals, in denen es weder Strom noch fliessendes Wasser gab », erklärt Adrienne Melly.

Das Chalet trägt den Namen seiner letzten Bewohnerin Madeleine Viaccoz, die hier bis 1969 lebte und im Alter von 84 Jahren verstarb. « Obwohl Trinkwasser und Kochherde in den Häusern Einzug hielten, holte Madeleine weiterhin ihr Wasser aus dem Dorfbrunnen und kochte über dem Holzfeuer», liest man in der Broschüre « Parcours historiques d’Anniviers ».

 

Das historische Wohnhaus gehört heute zum Kulturerbe des Verkehrsvereins Ayer, der sich um seine Erhaltung und Aufwertung kümmert. « Unsere Zeit ist geprägt von Innovation und ständigem Wandel. Das Chalet Madeleine gibt unserer flüchtigen und unbeständigen Gegenwart eine andere Dimension. Man erkennt, dass die Realität vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders aussah », erklärt unsere Begleiterin. Das altehrwürdige Haus wird am 20. und 21. Juli 2024 anlässlich des Kulturerbe-Wochenendes im Val d’Anniviers geöffnet sein. Anmeldungen für eine Besichtigung des Chalet Madeleine können über die Website www.annitrek.ch vorgenommen werden.

 

Eine regionale Spezialität: Der Gletscherwein

Nächster Halt auf unserer Tour ist die Weinkellerei der Burgergemeinde von Ayer. Präsident Jean-Yves Melly erwartet uns schon für die Verkostung des berühmten Tranks aus dem Val d’Anniviers: dem Gletscherwein.« Man trinkt nicht einfach einen Wein, es ist eine ganze Tradition, eine Geschichte », betont er gleich zu Beginn und reicht uns ein erstes Glas des goldenen Tropfens. « Geschmacklich erinnert er an Madeirawein oder den Vin Jaune aus dem Jura», erklärt uns Jean-Yves-Melly. Gletscherwein kann man nicht kaufen, weder im Geschäft noch im Restaurant. Man verkostet ihn in der Kellerei, direkt aus dem Fass. «Schaut euch um! Sind wir nicht an einem ganz besonderen Ort, mit den ganzen Zinnkannen, Weinfässern und Käselaiben? Jedes Mal werde ich ganz ehrfürchtig, wenn ich Gelegenheit habe, diesen Wein zu kosten », erklärt unsere Begleiterin. Üblicherweise wird der Gletscherwein nur zu Ende eines Besuchs und in kleinen Mengen ausgeschenkt.

Ein Fass Gletscherwein enthält normalerweise die Rebsorten Rèze oder Ermitage. Seine Besonderheit ist, dass die Fässer immer von Neuem bis zum Rand gefüllt werden. «Wenn man Gletscherwein ausschenkt, füllt man danach das, was gezapft wurde, mit neuem Wein auf. So vermischen sich die Jahrgänge untereinander», erklärt der Burgerpräsident. Drei Fässer Vin du Glacier lagern in der Kellerei von Ayer. Das älteste stammt aus dem Jahr 1727 und enthält 900 Liter Rèze, wobei die Basis hundert Jahre alt ist.

Der geschichtswürdige Tropfen wurde nun sogar in seiner eigenen Monographie verewigt mit dem Titel: «Vin du Glacier, à la découverte d’un grand vin», erschienen beim Verlag Editions Monographic. Die Autoren vermuten, dass «der Wein Gletscherwein genannt wurde, da dieser aus dem Tal in die Berge, also in die Nähe der Gletscher, gebracht wurde»

  Zurück