In Begleitung von... Mauro Giannini, agent de saisie

 

 

 
 

Überwachungskamera beim Eingang und Gesicherte Räume

Beim Besuch an Mauro Gianninis Arbeitsplatz fallen einem sofort die Überwachungskamera beim Eingang, die Videotürklingel und die durch Glas abgetrennten Schalter auf. Der Betreibungsbeamte empfängt uns in Martinach, wo sich das Betreibungsamt der Bezirke Martinach und Entremont befindet. Die Räumlichkeiten wurden im Mai 2024 gesichert. «Unsere Büros wurden innert kurzer Zeit Schauplatz mehrerer Übergriffe», erklärt er uns den Grund. «Dies hat uns dazu bewogen, die Sicherheitsmassnahmen zu verstärken.»

Während der COVID-19-Pandemie waren die Betreibungsbeamten weniger häufig am Wohnort der Schuldner anzutreffen. Seither werden Personen, gegen die eine Betreibung läuft, in der Regel direkt in die Büros des Amts bestellt. Die Gespräche finden in abgetrennten und gesicherten Räumen statt, was der Vertraulichkeit als auch dem Schutz der Beamten dient.

Unsere Büros wurden innert kurzer Zeit Schauplatz mehrerer Übergriffe

In innerste der Menschen eintauchen

«In meinem Beruf kommt man mit sehr privaten Dingen der Betroffenen in Kontakt», erzählt Mauro. Einkommen, Bankauszüge, bewegliches Vermögen, Immobilien, monatliche Auslagen ... nichts, das nicht akribisch unter die Lupe genommen wird. Bei einem Gespräch wird das Existenzminimum der verschuldeten Person ermittelt, bevor eine Aufstellung der pfändbaren Vermögenswerte vorgenommen wird.

Für die Betreibungsämter gelten weder das Bankgeheimnis noch das Amtsgeheimnis: «Wir dürfen alles über jeden in Erfahrung bringen», fügt Giannini hinzu. Die weitreichenden Ermittlungsmöglichkeiten erlauben es dem Betreibungsbeamten, die vom Schuldner geschuldeten Beträge ganz oder teilweise zugunsten des Gläubigers einzuziehen.

 

In meinem Beruf kommt man mit sehr privaten Dingen der Betroffenen in Kontakt

Seine erste Pfändung

Mauro Giannini erinnert sich noch bildlich an seine erste Pfändung. «Beim Betreten des Hauses sah ich vier Jagdgewehre an der Wand hängen. Das hat mich ziemlich beeindruckt, um ehrlich zu sein. Bei der Pfändung ging es um eine Rente. Am Ende lief alles reibungslos ab. Zu meinem grossen Erstaunen hat mir der Betroffene zum Schluss, als das Protokoll unterzeichnet war, sogar noch ein Glas angeboten», erinnert sich Giannini.

Aber natürlich reagieren nicht alle Schuldner so höflich. Ab und zu kommt vor, dass sie den Staatsangestellten feindlich gesinnt sind.

Damit es zu keinen zu grossen Spannungen kommt und die Pfändungseinsätze reibungslos über die Bühne gehen, betont Mauro, wie wichtig es ist, respektvoll und mit viel Augenmass vorzugehen. «Wenn ich mich strikt ans Gesetz halten würde, könnte ich ein Ehepaar mit gerade mal zwei Messern, zwei Gabeln, zwei Tellern und zwei Gläsern zurücklassen und das restliche Geschirr einziehen. Aber das wäre absurd.» Auch für die TV-Geräte der betriebenen Personen interessiert er sich nicht.

Das profil der Schuldner

In den meisten Fällen wird der Lohn oder ein Teil davon gepfändet. Auch bewegliche Güter oder Immobilien können dazu dienen, eine Schuld zurückzuzahlen. Möglich ist sogar die Beschlagnahmung von Vieh, was aber eher selten vorkommt.

Gewisse Arten von Vermögenswerten sind jedoch gesetzlich geschützt und können deshalb nicht gepfändet werden. Beispiele dafür sind religiöse Gegenstände wie Bibeln, ausser es handle sich um ein wertvolles Sammlerstück.

Haben die Betroffenen ein typisches Profil? Diese Frage vereint Mauro Giannini: «Nicht wirklich. Ich begegne jungen Erwachsenen, die gerade erst ins Erwerbsleben eingestiegen sind, ebenso häufig wie AHV-Rentnern, die praktisch mittellos sind.»

Auf der Gläubigerseite findet man hauptsächlich die kantonale Steuerverwaltung, die Krankenkassen, die Ausgleichskasse oder die Verwaltung der Mehrwertsteuer.

 
 

Ich begegne jungen Erwachsenen, die gerade erst ins Erwerbsleben eingestiegen sind, ebenso häufig wie AHV-Rentnern, die praktisch mittellos sind.

 
 

Früher war es eine Schande, wenn eine Zahlungsaufforderung ins Haus flatterte. Heute sind solche Aufforderungen schon fast normal, man tut sie mit einem Schulterzucken ab.

Wenn Scham der Gleichgültigkeit weicht

Die Zahl der Betreibungen steigt im Wallis Jahr für Jahr an und auch der Bezirk Martinach bildet dabei keine Ausnahme. 2024 hat das Amt erstmals die Marke von 40'000 Fällen überschritten und damit gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg der Geschäftstätigkeit um 12 % verzeichnet.

Dass die Verschuldung zunimmt, erklärt sich Mauro Giannini durch mehrere Faktoren: Scheidungen, steigende Lebenshaltungskosten und einfacherer Zugang zu Konsumkrediten. «Der Bezug zu Geld hat sich stark geändert. Ein Teil der Leute gibt Geld aus, das sie gar nicht haben. Heute kann sich jeder problemlos einen Kredit beschaffen. Früher legte man so lange zur Seite, bis man das Geld für den neuen Fernseher beisammen hatte», stellt er fest.

Als Substitut des Amtsvorstehers des Betreibungsamts Martinach fällt ihm auch der Mentalitätswandel auf: «Früher war es eine Schande, wenn eine Zahlungsaufforderung ins Haus flatterte. Heute sind solche Aufforderungen schon fast normal, man tut sie mit einem Schulterzucken ab. Die Scham hat sich in Gleichgültigkeit gewandelt.»

 

Seine coping Methode

Obwohl er keinen einfachen Beruf ausübt, hat Mauro Giannini nie mit dem Gedanken gespielt, etwas anderes zu tun. Mit 54 ist er immer noch motiviert. «Ich schätze diese Vermittlerrolle zwischen Schuldnern und Gläubigern. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich. Auf der einen Seite gibt es diese menschliche und soziale Dimension, auf der anderen Seite den strengen rechtlichen Rahmen mit dem SchKG, dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs. Ich mag dieses Gleichgewicht», erklärt er.

Um zu vermeiden, dass ihn der Job langfristig belastet, hat Mauro seine eigene Strategie entwickelt: Er hält eine gewisse Distanz zu seinem Gegenüber. «Wer sich zu stark von Emotionen leiten lässt, trifft möglicherweise die falschen Entscheidungen. Ich habe mir eine Art ‚Alter Ego’ erschaffen. Von 7:00 bis 18:00 bin ich der Betreibungsbeamte. Danach bin ich einfach Mauro.»

Niemand ist gefeit

Die Jahre beim Betreibungsamt haben Mauro nachdenklich werden lassen. Eine Trennung, der Tod einer geliebten Person, eine Krankheit ... Mauro weiss, dass das Leben jederzeit eine unerwartete Wendung nehmen kann. «Heute sitze ich auf dieser Seite des Schreibtisches. Aber niemand weiss, was morgen ist.» Für den Fall, dass die Rollen eines Tages vertauscht sind, wünscht er sich nur eins: «In diesem Fall hoffe ich, dass der Betreibungsbeamte kein Mitleid mit mir hat, sondern mir Empathie entgegenbringt und sich die Zeit nimmt, meine Lage zu verstehen.»

Der Beruf erfordert ein hohes Mass an Menschlichkeit. Etwas, worum sich Mauro Giannini Tag für Tag bemüht.

Präsentation des BKA

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