Zu Besuch in Saint-Maurice mit Fabien Lafarge

Einen vermeintlich vertrauten Ort auf neue Weise wiederentdecken.

Unsere Entdeckungstour startet am Bahnhof. Das Gebäude hebt sich durch sein grosses Glasdach ab, ein Element, das Fabien Lafarge immer wieder auffällt, so auch an anderen Schweizer Bahnhöfen, wie beispielsweise Lausanne: «Ich finde es ein schönes architektonisches Element – man freut sich ja meist, wenn man wo angekommen ist», vertraut er uns an.


 

Der Bahnhof ist für ihn nämlich mehr als ein blosser Durchgangsort: Er ist hier sozusagen aufgewachsen, denn das Café-Restaurant seiner Eltern befand sich früher direkt gegenüber. Inzwischen haben neue Betreiber das Lokal übernommen, doch die lebendige Atmosphäre bleibt: die Ankunft und Abfahrt der Züge, das geschäftige Treiben im Quartier und vor allem der stete Strom von Schülern, Schülerinnen und Studierenden prägen den Alltag hier. «Zweimal täglich strömen Schüler und Studenten in Saint-Maurice aus dem Bahnhof und gehen zur Schule, zum Kollegium oder zur Pädagogischen Hochschule», erklärt unser Reiseführer. 

In einem Teil des Gebäudes befindet sich heute «_La Station», ein Coworking Space, welcher in den ehemaligen SBB-Schaltern eingerichtet wurde. So gelang es laut Fabien, einen bestehenden Raum wieder zu beleben, ohne den Bezug zu seiner ursprünglichen Rolle als Transitort zu verlieren. 


 

Eine geographische Besonderheit: die befestigte Felswand

Vom Bahnhof aus fällt der Blick automatisch auf die markante Felswand. Fabien Lafarge erzählt, dass die Felswand von der Armee ausgehöhlt wurde, um Küchen, Schlafräume und Artilleriestellungen darin unterzubringen. Noch heute zeugt davon eine von hier aus sichtbare rostbraune Kerbe an der Stelle, an der sich einst ein Artilleriegeschütz befand.

Weiter oben zeichnet sich die Kapelle von Scex vom Berg ab. Sie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut und ist über 437 Stufen erreichbar, welche oft von Sportvereinen zum Training genutzt werden. Im Winter ist der Ort jedoch wegen Steinschlag und Glatteis geschlossen und wird derzeit gesichert.

 

Eine bleibende Erinnerung: als die Orientierungsschule zum Gemeindehaus wird

Unser Rundgang führt uns weiter in die Grand-Rue, wo sich altehrwürdige Bauten, Verwaltungsgebäude und charmante kleine Läden aneinanderreihen.

Fabien Lafarge bleibt vor der ehemaligen Orientierungsschule stehen, die er selbst einst besucht hat. Mittlerweile wurde das Gebäude komplett umgestaltet und beherbergt die Gemeindeverwaltung, sowie Vereinsräume, eine Ludothek und verschiedene kulturelle Vereinigungen. Die Sitzungen des Gemeinderats finden heute übrigens im ehemaligen Direktorenbüro statt.

Direkt davor wurde auch der Parc de la Tuilerie neugestaltet: Der Brunnen wurde saniert, es entstand ein offener, belebter Ort, den Schulkinder, Studierende und Anwohner täglich passieren. Was einst eine Schule war, ist inzwischen zu einem lebendigen sozialen Treffpunkt geworden.

 

Seine Lieblingsadresse: die Boutique seiner Freundin Anouk, AMT Design

Ein Stück weiter in derselben Strasse entdecken wir den Laden von Anouk, einer Bekannten von Fabien. In ihrem charmanten Geschäft findet man lokal inspirierte Motive auf Produkten, die sie selbst gestaltet und bedruckt: «Anouk zeichnet Berge und bedruckt damit Bilder, Mützen, T-Shirts und vieles mehr. Meine Geschenke kaufe ich oft bei ihr», verrät er uns.

 

Eine Anekdote: das ehemalige Gemeindehaus … und sein Balkon

Am Ende der Grand-Rue, auf der Place du Parvis, lohnt sich ein Blick nach oben zum Balkon des ehemaligen Gemeindehauses. Von diesem besonderen Ort aus werden in Saint-Maurice nämlich jeweils die Wahlergebnisse verkündet.

So steht der Gemeindeschreiber traditionsgetreu nach jeder Wahl dort oben und gibt die Namen der Gewählten öffentlich bekannt. Ebendieser Ort war es auch, an dem Fabien Lafarge zum ersten Mal im Rahmen der Gemeinderatswahlen im Oktober 2020 seinen Namen hörte.

 

 

Ein ungewöhnlicher Ort: La Petite Californie

Unterhalb der Kantonsstrasse erstreckt sich ein Ortsteil mit einer besonderen Geschichte.

In den 80er Jahren fühlten sich einige Bewohner des Glarier-Quartiers, das lange Zeit als der ärmste Teil von Saint-Maurice galt, etwas ausgegrenzt vom Rest des Städtchens am Eingang zum oberen Rhonetal. Um ihren Zusammenhalt zu stärken, beschlossen die Bewohnenden, eine Bestandesaufnahme ihrer Habseligkeiten zu machen. Sie besassen zwar kaum etwas, stellten aber humorvoll fest, dass ihr menschlicher Reichtum und der Geist des Quartiers ausreichten, um es «vielleicht nicht gerade zu Kalifornien zu machen, aber vielleicht doch ein kleines bisschen».

So beschlossen sie, den Ortsteil in Petite Californie, also Klein-Kalifornien umzubenennen. Dort befindet sich auch das Haus des «Gouverneurs» Guy-François Panchard – ebenfalls eine eigene Tradition: Der Gouverneur von Petite Californie wird nämlich auf Lebenszeit gewählt. Eine symbolische Funktion, die daran erinnert, dass sich das Quartier seit jeher mit Kreativität und Solidarität selbst organisiert hat. Im Herzen dieses besonderen Viertels befindet sich ein Platz mit einer offiziellen Tafel – verziert sowohl mit dem Wappen Kaliforniens als auch mit jenem von Saint-Maurice.

 

Ein Kunstwerk: das Street-Art-Wandbild «Barrière»

Lärmschutzwände gehören selten zu den schönen Seiten einer Stadt – ausser im Glarier-Quartier. Seit dem Frühjahr 2024 schmückt diese ein grossflächiges Street-Art-Wandbild mit dem Titel Barrière. Geschaffen wurde das Bild vom französischen Künstler Keim im Rahmen von ART Valais. Mit seiner Darstellung aus Blumen, Vögeln, Wasserformen und sanften Pastelltönen verwandelte er die einst triste Mauer in ein echtes Kunstwerk. Für Fabien Lafarge hat diese Wand eine besondere Bedeutung: Das Quartier wird ganz anders wahrgenommen und es erhält eine neue visuelle Identität.

Previous Next

 

Für Feinschmecker: der Lauch

Lauch spielt in der lokalen Geschichte eine besondere Rolle und gehört mittlerweile zum Kulturgut von Saint-Maurice. Auf den sandigen Böden des Îles-Quartiers, welche einst regelmässig vom Wasser der Rhône überflutet wurden, gediehen früher grosse Mengen dieses Lokalgemüses.
Daher werden die Bewohnerinnen und Bewohner auch heute noch scherzhaft «Lauchesser» genannt – im Patois Peca-Poré – eine Anspielung auf die traditionelle Lauchsuppe, die an grossen Festen serviert wird.
Zum 850-Jahr-Jubiläum der Gemeinde kam das ganze Städtchen an einer langen Tafel in der Grand-Rue zusammen, um eine speziell für diesen Anlass zubereitete Version dieser Suppe zu geniessen.


 

Fabiens Lieblingsspaziergang: der Rundweg um die Felswand

Müsste sich Fabien Lafarge für einen einzigen Spaziergang entscheiden, so wäre es ganz klar die der Rundweg um die Felswand. Los geht es mitten im Dorf, vorbei am charmanten Weiler Les Cases, hinauf zum Plateau de la Bouillasse, am Schloss vorbei und zurück über die alte römische Brücke.

Besonders im Frühling hat der Weg auch noch einen kulinarischen Reiz: Bärlauch spriesst hier im feuchten Unterholz am Fusse der Felswand, entlang des Pfads zur Feengrotte. «Im Frühling sammle ich hier gerne Bärlauch und mache daraus Pesto oder Butter», verrät Fabien, der dabei jeweils nur dem würzigen Duft folgen muss.

Zwei Stunden gemütliches Wandern mit Blick auf die schönsten Seiten von Saint-Maurice. Kein Wunder, dass diese Route so beliebt ist –sie bildet auch die Basis für den Défi des Chalets, dessen Gourmet-Variante mit verlockenden Degustationsstopps lockt. So werden Wandern und Genuss zu einem Erlebnis für alle Sinne.