Jacques Melly

«Das Wallis ist mein Spielplatz»

Die zwölfjährige Amtszeit von Staatsrat Jacques Melly geht per Ende April 2021 zu Ende. Zeit, um mit ihm gemeinsam zurückzublicken. (Interview vom 19. April 2021)

In wenigen Tagen geht Ihre zwölfjährige Amtszeit in der Walliser Regierung zu Ende. Wie ist es bei Ihnen mit dem lachenden und weinenden Auge: Überwiegt das Gefühl der Erleichterung, die Verantwortung abgeben zu können?

Nein, überhaupt nicht. Was soll ich Ihnen sagen? Diese zwölf Jahre haben mir sehr gefallen. Das Amt eines Staatsrats ist vielleicht eines der besten politischen Ämter, die es gibt. Wir sind autonom und verfügen über ein gewisses Budget, um Dinge bewegen zu können. Wir geniessen den Respekt der Öffentlichkeit, und trotzdem ist ein Privatleben noch möglich. Als Bundesrat ginge das nicht mehr. Ein Staatsrat investiert viel, hat aber letztendlich noch ein Leben und kann den Kontakt zur Bevölkerung pflegen, was einfach wunderbar ist.

Haben Sie bereits eine Idee, wie es danach weitergehen soll?

Ich weiss, dass ich mir keine Sorgen machen muss, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Ich werde ein gut ausgefülltes Leben haben, mit vielen Aktivitäten. Ich bleibe vorerst im Lötschberg Komitee, das ich zusammen mit meiner Berner Kollegin präsidiere. Dies solange, bis das Dossier zum Ausbauschritt 2035 dem Nationalrat vorgelegt wird, was ungefähr in zwei Jahren sein wird. Abgesehen davon behalte ich keine politischen Ämter, was aber nicht heissen soll, dass ich das politische Geschehen nicht verfolgen werde.

Im vergangenen Jahr wurde es still um Sie. Wie haben Sie die Pandemie erlebt?

Das Jahr war sehr belastend und anspruchsvoll. Mein Departement war das von der Pandemie nach Aussen hin am wenigsten betroffene, im Vergleich zu den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft, Finanzen und Sicherheit. Unsere Arbeit ist medial weniger ins Gewicht gefallen. Wir haben versucht, ein Maximum an Aktivitäten beizubehalten, besonders auf Baustellen. Gemeinsam mit den Bauunternehmen, die auch in Kurzarbeit waren, haben wir unter Einhaltung der geltenden Schutzmassnahmen nach Lösungen gesucht. So konnten alle Bauten weiter voranschreiten.

Welche Massnahme hat Sie in Ihrer persönlichen Freizeitgestaltung am meisten eingeschränkt?

Ich denke, ein Staatsrat bewegt sich zwei Drittel seiner Amtszeit ausserhalb seines Büros. Es gibt fast jeden Tag vier bis fünf Arbeitssitzungen. Dann kam die Pandemie, und nur die wichtigsten Sitzungen wurden durch Videokonferenzen ersetzt. Früher musste ich mir zwischen all diesen Terminen immer ein Zeitfenster suchen, wo ich ins Büro kommen konnte, um wichtige Dossiers zu unterschreiben und die Post zu erledigen. Auf einmal hatte ich dafür ganz viel Zeit übrig. Es gab keine Aktivitäten mehr ausserhalb des Büros, am Abend, an Wochenenden, keine politischen Sitzungen mehr oder Veranstaltungen. Übrige Zeit zu haben, das habe ich in meinem ganzen Leben nie kennengelernt. Für mich war es ein Vorgeschmack, was auch mich zukommen wird (lacht).

Die Corona-Pandemie hat der Reisebranche schlimm zugesetzt. Sie waren über 30 Jahre Direktor eines Bus- und Reiseunternehmens. Was löst das in Ihnen aus?

Es ist schrecklich zu sehen, was mit der Branche und auch unserem Familienbetrieb geschieht. Sie haben riesige Umsatzeinbussen und die Frage ist, wie wird es nach der Krise weitergehen? Viele der Kunden waren selbst von Kurzarbeit betroffen und mussten mit 20 Prozent weniger ihres Einkommens auskommen. Werden sie dann noch etwas auf der Seite haben, um sich Ferien zu leisten? Ich muss dazu aber auch sagen, dass die Schweiz und der Kanton sehr gut gehandelt haben. Ich bin sehr stolz, was unser Kanton geleistet hat. Mit vereinten Kräften im Bestreben, unsere Wirtschaft zu schützen, konnten wir in Bundesbern einiges erreichen.

Während Ihrer Amtszeit als Staatsrat waren Sie immer wieder mal auf Reisen. Welches Gebiet hat Sie am meisten beeindruckt?

Das Wallis. Es ist mein Arbeitsort, mein Spielplatz. Auf den 160 Kilometern von Gletsch bis zum Genfersee finden sich zahlreiche Orte, an denen mein Departement etwas bewirken konnte. Beginnend mit der jährlichen Öffnung der Alpenpässe im Goms und am Grossen St-Bernhard, die jeweils ein grosses Ereignis darstellen, bis hinunter zum Genfersee, wo das Gebiet durch den Bau der Eisenbahninie Sud-Léman aufgewertet werden soll. Ganz zu schweigen von den im Rahmen der 3. Rhonekorrektion gesicherten Zonen und der geplanten Neugestaltung der Rhoneufer. Ich habe den Kanton bereits gut gekannt, habe ihn aber nochmals von einer anderen Seite kennengelernt.

Sie haben einen Sprachkurs in «Oberwalliserdeutsch» belegt. Woher dieses Interesse, den Dialekt zu erlernen?

Sprachen waren immer mein Ding. Während meiner Arbeit im Reisesektor brauchte ich vor allem Italienisch und Englisch. Deutsch hatte ich am Kollegium, aber mit der Zeit habe ich es wieder etwas verlernt. Als Politiker in einem zweisprachigen Kanton ist es aber wichtig, dass man beide Sprachen beherrscht.

Und wie hat sich das so ausbezahlt?

Während sieben bis acht Monaten habe ich einmal wöchentlich, sofern es zeitlich gereicht hat, Sprachunterricht genommen. Schliesslich musste ich mir aber eingestehen, dass ich besser beim Hochdeutsch bleibe. Ich möchte nicht so tun, als wäre ich ein Oberwalliser. Denn dann erwarten die Leute ein gewisses sprachliches Niveau und das hätte mich in Schwierigkeiten gebracht. Ich verstehe es durch den Kurs aber viel besser.

Was hat Sie während Ihrer Regierungszeit am meisten geprägt?

2010 - ich war Vizepräsident - befand sich der Präsident des Staatsrates gerade im Ausland, als der Eisenbahnunfall in Fiesch geschah. Eine Japanerin kam dabei ums Leben. So habe ich in Brig eine Medienkonferenz abgehalten, die direkt ins japanische Fernsehen übertragen wurde. Im Wissen um die Sensibilität dieses Volkes und die Wichtigkeit einer solchen Situation fürs Image eines Landes und eines Kantons, habe ich mich für das Geschehene aufrichtig entschuldigt. Das war ein sehr denkwürdiger Moment. Im März 2012 kam es zum Busunglück in Siders, auch das war sehr bewegend. Weniger medial, aber dennoch für mich von grosser Bedeutung war der Moment, als ich mit dem damaligen Präsidenten der EPFL Patrick Aebischer eine Kooperationsvereinbarung ratifiziert habe, damit sich die Uni dauerhaft im Wallis ansiedelt.

Zum Abschluss noch: Haben Sie einen Tipp, den Sie Ihrem Nachfolger Franz Ruppen mit auf den Weg geben möchten?

Nein, es ist nicht meine Aufgabe, Ratschläge zu erteilen. Jeder sollte mit einem freien Geist anfangen können. Man muss selbst mit der Materie in Berührung kommen, um die einzelnen Entscheide abwägen zu können.

 

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